Mission. Vision. Werte.
Die Kolonie versteht sich als Möglichkeitsraum, dessen Projekte, Initiativen und Kooperationen sich nicht auf Vermarktungskriterien beziehen. Die Heterogenität ihrer Mitglieder und der gezeigten Kunst zeichnen die Arbeit des Kunstverbundes aus. In selbstorganisierten Ausstellungen finden sich Auseinandersetzungen mit politischen, gesellschaftlichen und interkulturellen Themen in künstlerisch-ästhetischen Fragestellungen wieder, die ein breites, kunstinteressiertes Publikum ansprechen. Die kontinuierliche Aktivität der Kolonie fördert die Belebung der Soldiner Kiezkultur und etabliert den Wedding als Kunststandort Berlins.
20 Jahre Kolonie Wedding
Text von Anna E. Wilkens
anlässlich des 20jährigen Jubiläums der Kolonie Wedding
Die Anfänge
Im Jahr 2001 fand am 16. Juni zum allerersten Mal ein Vernissagenabend in der damals ganz neu gegründeten Kolonie Wedding im Soldiner Kiez statt. Der Projektraumverband war mit der Unterstützung des Quartiersmanagements Soldiner Straße und der degewo als Motor für die Sichtbarmachung der ansässigen Künstler:innen und zur Strukturverbesserung des Kiezes ins Leben gerufen worden. Nach wenigen Jahren waren bereits 29 Projekträume Mitglieder der Kolonie Wedding.
Ein einmaliges Projekt
Weltweit einzigartig ist an der Kolonie Wedding der koordinierte Vernissagenabend an einem festen Tag, immer am letzten Freitag im Monat. Ebenso bedeutsam sind die geführten Rundgänge an diesem Abend sowie am darauffolgenden Sonntag. Es ist diese Koordination der Eröffnungen mit den geführten Touren, die sogar bereits eine Masterarbeit über die Kolonie veranlasst hat, entstanden an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, in der die Autorin Parallelen zwischen diffusen Museen, einer zeitgenössisch neuen Sonderform des Museums mit verstreuten Standorten und der Kolonie Wedding zieht (La Vigna, 2017). Man kann an einem Kolonie-Abend in rascher Folge die unterschiedlichste Kunst in Räumen mit ganz divergenten kuratorischen Ansätzen sehen, etwa zunächst seltsame Gemälde eines Berliner Künstlers, dann eine finnisch-schwedische Gruppenausstellung mit Skulpturen und Zeichnungen, Videokunst einer brasilianischen Künstler:innengruppe, experimentelle Installationen von Künstler:innen aus New York, um dann ein langes interessantes Gespräch mit einem Komik-Künstler aus Israel oder einer holländischen Konzeptkünstlerin ein Gespräch zu führen.
In den zwanzig Jahren hat es an den Kolonie-Freitagen rund 2000 Ausstellungseröffnungen gegeben, nicht mitgezählt die vielen Vernissagen zu anderen Terminen – einige der Räume haben mehrere Ausstellungen pro Monat gezeigt – dazu unzählige Festivals, Konzerte, Lesungen, Vorträge, Workshops, Feste und weitere Projekte. Heute, im Jahr 2021, zählt die Kolonie 25 aktive Projekträume.
Welt und Nachbarschaft
Die Kolonie Wedding ist sowohl international geprägt und ausgerichtet als auch ganz lokal: Viele der Mitglieder sind aus anderen Ländern nach Deutschland eingewandert, und die Kolonie pflegt regen Austausch mit Projekten und Künstler:innen in aller Welt (mit einem Schwerpunkt auf Europa). Die in den Räumen der Kolonie ausgestellten Künstler:innen kommen von überall her – auch aus Berlin.
Immer wieder organisiert die Kolonie Austauschaustellungen, in denen die Künstler:innen der Kolonie selbst ihre Werke in anderen Ländern ausstellen, so 2017 in Hyvinkää, Finnland, 2019 in Novi Sad, Serbien, 2021 in Cluj-Napoca, Rumänien. Im Jahr 2019 haben Mitglieder eines Projektraumverbandes aus Los Angeles in den Räumen der Kolonie ausgestellt; der Gegenbesuch wurde pandemiebedingt auf das Jahr 2022 verschoben. Ein Meilenstein im Kontext internationaler Kunstdiskurse war für die Kolonie Wedding 2009 das Projekt Unter Nachbarn – Komşular Arasi im Rahmen der 20-jährigen Städtepartnerschaft Istanbul-Berlin mit Ausstellungen und Performances in den Partnerbezirken Istanbul-Cihangir und Berlin-Mitte / Soldiner Kiez.
In partizipativen Projekten aller Art wird gleichfalls eine lokale Vernetzung gepflegt, die Nachbarschaften werden einbezogen, etwa in Workshops für Kinder, bei Performances auf der Straße, bei häufigen Lesungen, Vorträgen, Konzerten und Festivals.
Der Kolonie Wedding gelingt es so, sowohl eine Rolle für die Community-Förderung in ihrem Kiez als auch in der Entwicklung neuer Ansätze in der Kunst zu spielen. Die internationale Strahlkraft Berlins als Stadt der Kunst profitiert davon: „Wenn Berlin die ‚Künstlerwerkstatt Europas‘ ist, so sind Projekträume ihr vitales und dennoch fragiles Herz.“ (S. Marguin, in: von hundert, 4/2012, http://www.vonhundert.de/index2bbc.html?id=409)
Projekträume als Standortfaktor
Seit zwanzig Jahren arbeiten die Mitglieder der Kolonie ausschließlich ehrenamtlich. Die Projekträume können experimentelle, kontroverse und nicht verkäufliche Kunst zeigen, weil sie nicht marktorientiert sind. Dass die Kolonie nun schon so lange zuverlässig Bestand hat, ist sicherlich nicht zuletzt der flachen Hierarchie geschuldet. Mitglieder und Besuchende werden gleichermaßen in ihren ganz persönlichen Eigenarten integriert und können dadurch in vergleichsweiser Freiheit substanzielle Beiträge zum Ganzen leisten, es ist ein „anderes Verständnis von Austausch, indem […] Ebenbürtigkeit dem Wettbewerb“ (Marguin) vorgezogen wird.
Die Kolonie Wedding symbolisiert ein Dach, unter dem sich die einzelnen Räume eigenständig kuratorisch entfalten.
Dieses außerordentliche Engagement von den vielen Menschen, die an der Kolonie nun schon zwanzig Jahre mitwirken oder mitgewirkt haben, ist definitiv ein Grund zum Feiern.